Renteneintrittsalter
Eine Mehrheit von 62,9 % würde bereits spätestens mit 63 Jahren in Rente gehen wollen, wenn sie es sich frei aussuchen könnte. Das Alter spielt dabei kaum eine Rolle – der Wunsch nach einem frühen Rentenalter ist in allen Altersgruppen zwischen 18 und 64 Jahren konstant hoch. Mehr als ein Drittel (37,5 %) wollen sogar schon mit 61 oder früher in Rente. Bei Erwerbstätigen ohne Schulabschluss, Arbeitern und Personen mit Berufsausbildung überspringt der Wunsch nach einem frühen Renteneintritt bis 63 Jahre sogar die 70 %-Marke. Demgegenüber sind derzeit nur 14% der Erwerbstätigen bereit, über das Alter von 67 hinaus zu arbeiten. Gegenüber dem Vorjahr stellt dies einen geringfügigen Anstieg um 1,7 Prozentpunkte dar. Hier sind es vor allem junge Menschen im Alter von 18-29 Jahren, von denen sich immerhin 23,2 % vorstellen können, länger als bis 67 zu arbeiten. Dabei fällt auch der höhere Anteil an Personen mit akademischem Abschluss ins Gewicht. Birthe Kretschmer, Vorstandsvorsitzende des ddn stellt fest: „Das Potenzial für längeres Arbeiten wächst zwar, ist aber trotzdem begrenzt. In den Unternehmen sind hauptsächlich Hochqualifizierte dazu bereit.“
Bedingungen fürs längere Arbeiten
Bei der Frage, was die Menschen zu einem längeren Erwerbsleben bewegen könnte, zeigt sich eine Kombination von Faktoren. Mit 40,7 % ist die freie Wahl der Arbeitszeit die wichtigste Veränderung, damit Menschen länger arbeiten wollen. Mehr Gehalt erwarten 37,7 %, und praktisch genauso stark ist mit 37,5 % der Wunsch nach weniger körperlicher Belastung oder Stress. Auch die freie Wahl des Arbeitspensums fällt mit 35,8 % deutlich ins Gewicht. Mehr als ein Fünftel sieht keine Gründe länger als bis zum planmäßigen Rentenalter zu arbeiten.
Unterschiede in den Motiven lassen sich anhand der Position in der Arbeitswelt erkennen. Weniger körperliche Belastung oder Stress wünschen sich 62,8 % der Ungelernten, zu, 42,6 % der Arbeiter und 41,5 % der Angestellten – aber nur 32,3 % der leitenden Angestellten. Für sie stehen eher das Gehalt (47,2 %) sowie die freie Zeiteinteilung (46,2 %) im Vordergrund. Insgesamt schrumpft die Bedeutung des Gehalts im Lauf des Berufslebens, dagegen steigt das Bedürfnis nach Wertschätzung durch Vorgesetzte mit dem eigenen Alter an. Bei der Frage nach Wertschätzung zeigt sich zudem ein markanter Geschlechterunterschied. Während 23,2 % der Männer sich mehr Wertschätzung wünschen, erreicht dieser Wert bei Frauen 34,5 %.
Bedeutung von Weiterbildung
Vertieft widmet sich die Studie der Bedeutung von Weiterbildung und entdeckt hier deutliche Defizite. Nur rund die Hälfte aller Befragten ist der Meinung, dass ihr Unternehmen genügend Weiterbildungsmöglichkeiten anbietet, mehr als ein Drittel (35,9 %) bekommt kein ausreichendes Angebot.
Birthe Kretschmer sieht hierin eine vertane Chance: „Unternehmen vernachlässigen insbesondere die Zielgruppe der Beschäftigten über 50.
Hier gibt es eine große Bereitschaft und hohe intrinsische Motivation, aber 38 % bekommen keine passenden Angebote.“Ähnlich bei Erwerbstätigen ohne Berufsabschluss vermissen 78,8 % ausreichende Weiterbildungsmöglichkeiten, bei ArbeiterInnen geht es jeder zweiten Person (50,5 %) so. Während nur 26,4 % der Jüngeren (18-29 Jahre) fehlende Weiterbildungsangebote bemängeln, tun dies 38 % der Beschäftigten zwischen 50 und 64 Jahren. Zudem zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. In Regionen mit sehr hoher Bevölkerungsdichte fehlt nur 28,4 % ein ausreichendes Weiterbildungsangebot, in Regionen mit sehr niedriger Bevölkerungsdichte liegt dieser Wert bei 41,7 %. Ebenfalls scheint sich beim Weiterbildungsangebot ein leichter Geschlechternachteil zu Lasten von Frauen zu zeigen.
Motivation zur Weiterbildung
Die größte Bedeutung der Weiterbildung liegt für Erwerbstätige in der persönlichen Weiterentwicklung. Eine Mehrheit von 52,4 % gibt dieses Motiv noch vor der Anpassung an neue Herausforderungen (39,3 %) und der Absicherung der beruflichen Zukunft (32,9 %) an. Ein knappes Viertel (23,7 %) hat Spaß an Weiterbildungen, aber lediglich 17,7 % denken, dass sich Weiterbildung finanziell für sie lohnt. Die Bedeutung des finanziellen Anreizes ist bei ArbeiterInnen mit 28,1 % noch am stärksten, verschwindet aber über den Verlauf des Berufslebens nahezu bei allen Gruppen, wogegen die Anpassung an neue Herausforderung mit dem Älterwerden an Gewicht gewinnt. Besonders interessiert an Weiterbildung zeigen akademisch ausgebildete Menschen und insbesondere leitende Angestellte
Einschätzungen zur Studie
Die Ergebnisse der Studie bewerten Birthe Kretschmer vom Vorstand des Demographie Netzwerks ddn sowie Dr. Melanie Ebener von der Bergischen Universität Wuppertal und Prof. Dr. Christian Stamov-Roßnagel von der Constructor University Bremen, die die Studie fachlich begleiteten.
Birthe Kretschmer: Vorstandsmitglied beim Demographie Netzwerk ddn
Bereitschaft, länger zu arbeiten
„Das Potenzial für längeres Arbeiten wächst zwar, ist aber trotzdem begrenzt.
In den Unternehmen sind hauptsächlich Hochqualifizierte dazu bereit.
Umso wichtiger ist es, durch ein individuell passendes Flexibilisierungspaket diese Bereitschaft auch abzurufen.
Dazu zählt übrigens bei jeder siebten Person auch die persönliche Weiterbildung.“
Angebote zur Weiterbildung
„Wir können es uns nicht leisten, dass mehr als ein Drittel der Beschäftigten kein ausreichendes Weiterbildungsangebot bekommt.
Unternehmen vernachlässigen insbesondere die Zielgruppe der Beschäftigten über 50.
Hier gibt es eine große Bereitschaft und hohe intrinsische Motivation, aber 38 % bekommen keine passenden Angebote.
Dies beeinflusst auch negativ die Bereitschaft, über das Rentenalter hinaus zu arbeiten.“
Weiterbildung „unten und in der Mitte“
„Vier Fünftel derjenigen ohne Abschluss bekommen keine ausreichenden Angebote. Dabei könnte genau in diesem Bereich ein enormes Zugewinnpotenzial für Unternehmen liegen. Wir müssen die unsichtbare Mauer des Weiterbildungszugangs für diese Menschen einreißen. Die Herausforderung ist es, negative Lernerfahrungen zu überwinden, einen fluiden Zugang zum Wissenserwerb zu ermöglichen und so erstmals Lernerfolge zu schaffen. Auch im Bereich der ArbeiterInnen vermissen über 50% ein ausreichendes Weiterbildungsangebot. Die Weiterbildungsangebote müssen sich deshalb auch stärker ausdifferenzieren, um passgenauer die Bedürfnisse in unterschiedlichen Tätigkeiten und Profilen zu erreichen.“
Dr. Dipl.-Psych. Melanie Ebener: Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft an der Universität Wuppertal)
Fachliche Begleiterin der Studie
Bereitschaft, länger zu arbeiten?
„Unter den jüngsten Erwerbstätigen, den 18-29jährigen, gibt ein knappes Viertel an, länger arbeiten zu wollen. Das könnte einerseits ein Umdenken andeuten, andererseits dem zunehmenden Bildungsniveau jüngerer Jahrgänge geschuldet sein. Denn wir wissen, dass schon heute Hochqualifizierte eher länger arbeiten. Wir können daraus allerdings nicht auf einen generellen Trend zum längeren Arbeiten schließen. Denn im Widerspruch dazu will gleichzeitig ein besonders hoher Anteil der Jüngeren schon sehr früh mit dem Arbeiten aufhören. Wir können also keinesfalls auf einen generellen Trend in Richtung ‚länger arbeiten‘ schließen. Diese Hoffnung der Politik erfüllt sich hier noch nicht.“
Länger arbeiten, wenn die Arbeit anders wäre…
„Wir sprechen zurecht sehr viel über positive Einstellung zu Älteren und Wertschätzung, wenn wir wollen, dass die Menschen länger arbeiten. In der Praxis zeigt sich aber: Für die meisten sind gute Arbeitsbedingungen die höchste Wertschätzung, die man bekommen kann.
Unternehmen müssen mehrere ganz handfeste Stellschrauben der Arbeitsgestaltung neu justieren. Freie Wahl der Arbeitszeiten und des Arbeitspensums sowie weniger körperliche Belastungen und Stress sind dabei besonders wichtig. Zum einen kann die Arbeit unter diesen Umständen besser ausgeführt werden, auch wenn vielleicht einmal die Kräfte nachlassen. Zum anderen finden wir in den Jahrgängen kurz vor der Rente auch oft den Wunsch nach mehr Selbstbestimmung. Sie denken oft, dass man sich Manches einfach nicht mehr antun muss.“
Rolle der Qualifizierung…
„Qualifizierung und Perspektiven für Ältere reichen allein nicht aus, um die meisten länger in Arbeit zu halten, wenn die sonstigen Arbeitsbedingungen nicht gut sind. Umgekehrt kann Qualifizierung aber sehr wohl zu weiteren produktiven und erfüllenden Arbeitsjahren beitragen.“
Prof. Dr. Christian Stamov Roßnagel: Constructor University Bremen
Fachlicher Begleiter der Studie
„Die steigenden Weiterbildungsausgaben der deutschen Wirtschaft scheinen schlecht investiert zu sein, denn Weiterbildung geht an zu vielen Beschäftigten vorbei, knapp der Hälfte werden keine ausreichenden Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten.“
„Dem viel gepriesenen ‚Neuen Lernen‘ zum Trotz scheinen viele Unternehmen noch althergebrachten Vorstellungen über Lernende zu folgen: die Unterversorgung mit Weiterbildung steigt über die Altersgruppen hinweg an und ist bei Arbeitern besonders ausgeprägt. Offenbar hat sich noch nicht ausreichend herumgesprochen, dass Lernbereitschaft nicht von Alter und Bildungsgrad abhängt.“
„Die Befragung zeigt Schlüssel zur Schließung der ‚Lernlücke‘ auf. „Schulungen“ schrecken ab, attraktiv ist Weiterbildung, die auch von den Lernenden her gedacht wird und nicht allein vom Unternehmen. In allen Altersgruppen gefragt sind Weiterbildungen, in denen berufsbezogenes Lernen als Teil der persönlichen Weiterentwicklung erlebt werden kann und die klar auf die Fähigkeit einzahlen, neue berufliche Herausforderungen meistern zu können.“
Die Umfrage
Für den Demographie-Index befragte das Marktforschungsunternehmen Civey im Auftrag von ddn 2.505 Erwerbstätigte im Zeitraum vom 9.10.2024 bis 16.10.2024 online. Verknüpft wurden dabei vier Fragen (gewünschtes Renteneintrittsalter, Voraussetzungen für späteren Renteneintritt, Einschätzung des Weiterbildungsangebots, persönliche Gründe für Weiterbildung) mit zwölf sozioökonomischen Faktoren wie Alter, Bildung, berufliche Stellung, Familienstand etc. verknüpft.
Über Das Demographie Netzwerk e.V. (ddn):
Das Demographie Netzwerk e. V. (ddn) ist ein gemeinnütziges Netzwerk von Unternehmen und Institutionen, die den demographischen Wandel als Chance begreifen und aktiv gestalten wollen. ddn wurde 2006 auf Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und im Kontext der Initiative neue Qualität der Arbeit (INQA) gegründet. Die Mitglieder engagieren sich mit dem Anspruch „gemeinsam Wirken“ und in kollaborativer Zusammenarbeit. In regionalen und überregionalen Foren, in digitalen und persönlichen Treffen bearbeitet das Netzwerk Themen wie Qualifizierung, Digitalisierung, Führung und Diversity. ddn initiiert, leitet und unterstützt Förder- und Forschungsprojekte zu seinen Themen, aktuell unter anderem die Projekte Dico und KIWW. Seit 2020 verleiht ddn den Deutschen Demografie Preis ddp.
Pressekontakt: Andreas Scheuermann, Tel.: 0611-1666-1424, Mail: redaktion@auctority.net
Die aktualisierte Broschüre zur Civey-Umfrage finden Sie in Kürze hier.