Interview | Teil 02: Herausforderungen für den Mittelstand

11.08.21 | Interview - Teil 02: Zu den Ergebnissen des Mittelstandskompasses, insbesondere zu den Herausforderungen Demografie und Fachkräftemangel, haben wir mit ETL-Vorstand Marc Müller gesprochen. Im zweiten Intervieteil reden wir über die Herausforderungen Pandemie und Digitalisierung.

Wie sind kleine und mittelständische Unternehmen für die Zukunft nach der Krise aufgestellt? Antworten gibt der erste Mittelstandskompass von Deutschlands führender Steuerberatungsgruppe ETL in Kooperation mit dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln), der im Mai 2021 veröffentlicht wurde. Zu den Ergebnissen der Studie, insbesondere zu den Herausforderungen Demografie und Fachkräftemangel, haben wir mit ETL-Vorstand Marc Müller gesprochen. Im zweiten Intervieteil reden wir über die Herausforderungen Pandemie und Digitalisierung.

Zur Person

Marc Müller

Marc Müller ist Mitglied des Vorstands der ETL AG – Deutschlands größter Steuerberatungsgruppe, die als „Hidden Champion“ hinter den Big4 in der Branche gilt. Müller treibt für die bundesweit 870 Standorte und weltweit 250 Büros die Beratung von kleinen und mittelständischen Unternehmen voran.

Wie groß ist der Impact der Pandemie auf den Mittelstand/kleine und mittlere Unternehmen?

Kurzfristig stehen natürlich die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie im Vordergrund. Über die Hälfte der befragten Unternehmen gibt an, von negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen zu sein, bei den weniger erfolgreichen Unternehmen liegt der Anteil mit 76 Prozent nochmal deutlich höher. Schon jetzt zeigt sich jedoch auch, dass die Corona-Krise auf den deutschen Mittelstand als Katalysator wirkt:

„Herausforderungen, die schon vor der Pandemie bestanden, wurden noch einmal drastisch verschärft. Dazu gehören vor allen Dingen die digitale Transformation und die Notwendigkeit für Innovationen.“

Marc Müller

Gerade im Bereich des mobilen Arbeitens war das Ausmaß, in dem Unternehmen in kürzester Zeit die Möglichkeiten hierfür geschaffen haben beachtlich. Die Betriebe mussten ihr flexibles Arbeiten unter Beweis stellen und neue Maßnahmen in einem enormen Tempo entwickeln und umsetzen. Flexibilität und Resilienz sind hier die wichtigsten Fähigkeiten eines Unternehmens. Resilienz betrifft nicht nur die Erhaltung der Organisation, sondern auch die Reorganisation nach einer Krise und zukünftiges Wachstum durch Innovation. Künftig wird es immer wichtiger sein, nach und während einschneidenden Ereignissen wie der Corona-Pandemie, „Lessons Learned“ verzeichnen zu können.

Welche Chancen sehen Sie in der Digitalisierung und in KI für den Mittelstand?

Die Digitalisierung wird die Art und Weise, wie wir zukünftig leben und arbeiten, nachhaltig verändern. Diese Veränderungen deuten sich zumeist in eher kleinen Segmenten der Wirtschaft oder Gesellschaft an, entwickeln von hier aus aber teils überraschend weitreichende Auswirkungen. Der deutsche Mittelstand sollte die Digitalisierung daher auch als Chance und Katalysator wahrnehmen. Unternehmen sollten nun die Digitalkompetenzen der Angestellten fördern, sie für mehr Flexibilität sensibilisieren und schlussendlich damit auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Dafür braucht es neue Rekrutierungsstrategien sowie Weiterbildungsprogramme, aber auch Anreize finanzieller Natur, damit Mitarbeiter sich auf die neuen Arbeitsbedingungen einlassen. Hier ist ein Mitwirken der Politik erforderlich, die, hinsichtlich der Digitalkompetenzen, stärker in den Bildungsstandort Deutschland investieren muss.

Die Künstliche Intelligenz (KI) findet inzwischen zwar verstärkt Anwendung in der betrieblichen Praxis. Trotzdem ist der deutsche Mittelstand hier bislang vergleichsweise wenig engagiert. Nicht jedes kleine und mittelständische Unternehmen muss jetzt in KI-Technologien investieren. Hier ist vielmehr kluges mittelständisches Augenmaß gefordert:

„So sollten mittelständische Unternehmen konkrete KI-Leuchtturmprojekte, die sich in zunehmender Zahl in den Medien und Online finden, daraufhin überprüfen, ob diese Chancen oder Risiken für das eigene Geschäftsmodell beinhalten könnten. Sollten sich hier Auswirkungen auf das eigene Unternehmen ergeben, können auch zunächst professionelle KI-Dienstleister eingebunden werden, die ein Daten- und Algorithmen-Fundament für alle weiteren KI-Initiativen legen können.“

Marc Müller

Der Mittelstand hat in Sachen Digitalisierung also durchaus noch Nachholbedarf. Sofern die Unternehmen aber mit dem bewährten Engagement an die Sache gehen, können sie durch die Nutzung der riesigen Chancen der Digitalisierung gestärkt aus der Pandemie und der digitalen Transformation auch im internationalen Wettbewerb hervorgehen.

Wo sehen Sie die Vorteile der mittelständischen Unternehmen gegenüber den großen Unternehmen bei der Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen?

Ganz klar in der Flexibilität! Wer könnte in der deutschen Wirtschaft flexibler agieren als kleinere und mittlere Unternehmen? Der Mittelstand hat im Vergleich zu großen Unternehmen und Konzernen entscheidende Vorteile: wenig Bürokratie und flache Hierarchien. Des Weiteren liegt seine Stärke in der Anpassungsfähigkeit. Neben der notwendigen Agilität bietet die Individualisierung den Vorteil, sich von heute oft übermächtig scheinenden Großunternehmen unabhängiger zu machen. Gemeint ist damit, dass Kunden verstärkt individualisierte Produkte und Dienstleistungen nachfragen, die spezifische Wünsche und Anforderungen berücksichtigen. Die Digitalisierung bietet dabei die Möglichkeit, die notwendige Flexibilität in Produktion, Dienstleistungen und Kommunikation zu liefern. Vor diesem Hintergrund haben mittelständische Unternehmen die Chance, ihre Stärken auszuspielen und Kundenbedürfnisse mit einzigartigen Produkten und individueller Kommunikation zu erfüllen. Kurzum, der Mittelstand sollte die Digitalisierung, aber auch die weiteren Megathemen ökologischer Wandel und Demografie deswegen in erster Linie als Chance und Katalysator wahrnehmen.

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