Nachbericht Digitale Transformation in Pflegeeinrichtungen

Die Digitalisierung stellt Sozialverbände vor die Herausforderung, eine heterogene Einrichtungslandschaft in ihrem Verband zu vereinen und gleichermaßen zu unterstützen. Eine pauschale "One-Size-Fits-All"-Lösung wird aufgrund des stark schwankenden digitalen Reifegrads einzelner Pflegeeinrichtungen nicht funktionieren, was die Digitalisierungsbeauftragten vor eine große Herausforderung stellt. Um die Chancen der Digitalisierung im Gesundheitswesen wirkungsvoll nutzen zu können, ist eine fortschreibende Digitalisierungsstrategie als wichtiges Fundament unabdingbar.

Die Veranstaltung "Digitale Transformation in Pflegeeinrichtungen" am 09.03.2023 befasste sich damit, wie Wohlfahrtsverbände ihre Pflegeeinrichtungen im Digitalisierungsprozess unterstützen können. Die Vorträge von Dr. Vanessa Kubek, Jan Koch, Pia kleine Stüve und Thomas Schade lieferten verschiedene Erkenntnisse und Empfehlungen zur Umsetzung einer erfolgreichen Digitalisierungsstrategie in Pflegeeinrichtungen.

Partizipativ, systematisch und bedarfsorientiert digitalisieren

Dr. Vanessa Kubek, Forscherin, Beraterin und Coach für die Zukunft in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft am Institut für Technologie und Arbeit e.V., stellte das Projekt „Digital Companion“ (kurz DiCo) vor, ein Changemanagement-Tool, das Pflegeeinrichtungen im Digitalisierungsprozess unterstützt. Dabei handelt es sich um eine Webanwendung, die den Transformationsprozess strukturiert und bei der Analyse der Ausgangssituation, der Informationsbeschaffung und der Technologieauswahl basierend auf einer Datenbank mit über 400 Technologieprodukten hilft.

„Ein digitaler Assistent wird keine menschlichen Berater*innen ersetzen. Er dient vielmehr als ein hilfreiches Instrument, sodass menschliche Berater*innen mit dem Assistenten ‚Hand in Hand‘ zusammenarbeiten, um den Transformationsprozess erfolgreich zu meistern.“

Dr. Vanessa Kubek
Forscherin, Beraterin und Coach zur Zukunft in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft
Institut für Technologie und Arbeit e.V.

Eine Befragung des ITA hat gezeigt, dass viele Einrichtungen sich nicht fit fühlen, um Digitalisierungsprojekte systematisch umzusetzen. Die Anschaffung von Technologien erfolgt häufig ohne Analyse der spezifischen Bedarfslage sowie den notwendigen Voraussetzungen zur Implementierung. Zudem fehlen häufig die Kompetenzen und die Zeit, um mit Produktanbietern zu verhandeln. Hierbei kann der DiCo Hilfestellung bieten, so dass der Digitalisierungsprozess strategisch, systematisch, bedarfsorientiert und partizipativ gestaltet wird. Der digitale Transformationsprozess im DiCo ist in vier Phasen gegliedert: Sensibilisierung und Orientierung, Analyse und Planung, Implementierung und Überwachung sowie Evaluierung und Fortschreibung. Der DiCo wird am September 2023 in öffentlich zugänglicher Variante zur Verfügung stehen.

Von der Unternehmens- zur Digitalisierungsstrategie

Jan Koch, Experte für Prozessmanagement und Organisationsentwicklung beim Caritasverband für die Diözese Speyer, hat in seinem Vortrag die Bedeutung einer fortschreitenden Digitalisierungsstrategie für Sozialunternehmen betont. Eine solche Strategie sei essentiell, um die Chancen der Digitalisierung wirkungsvoll nutzen zu können. Um eine Digitalisierungsstrategie erfolgreich umzusetzen, müsse sie vor allen Dingen eng mit der Unternehmensstrategie übereinstimmen und in Zusammenarbeit mit allen Abteilungen entwickelt werden. Dabei müssen klare Ziele definiert werden, um herauszufinden, wie die Digitalisierung zum Erfolg des Unternehmens beitragen kann. Er empfiehlt, sich auf die Abteilungen zu konzentrieren, die davon überzeugt sind, dass Technologien helfen können.

„Für ein Gelingen, muss die Digitalisierungsstrategie sowohl für Führungskräfte als auch für Projektmanager akzeptabel sein und die Strategie sollte in einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess übergehen.“

Jan Koch
Prozessmanagement und Organisationsentwicklung
Caritasverband für die Diözese Speyer e.V.

Eine „Digitalisierungsroadmap“, die eine detaillierte Strategie beinhaltet, um die Ziele des Unternehmens zu erreichen, sei elementare Handlungsgrundlage. Um diese zu schaffen, müsse die IT-Service und IT-Projektmanagement professionalisiert werden.

Digitale Technologien – Unterstützer im Pflegealltag

Pia Kleine Stüve, Referatsleiterin Assistenzsysteme und Digitalisierung bei der Evangelischen Heimstiftung GmbH, gab in ihrem Vortrag Einblicke in die Digitalisierungsstrategie der Heimstiftung. Die Strategie umfasst acht Felder, darunter auch Innovation und Digitalisierung. In diesem Zusammenhang werden verschiedene Projekte umgesetzt, die darauf abzielen, Fachkräfte zu entlasten und Prozesse zu optimieren. Zur Umsetzung dieser Strategie wurden verschiedene Assistenzsysteme eingeführt, die zur Sicherheit von Bewohner*innen in stationären und ambulanten Einrichtungen beitragen. Ein Beispiel dafür ist das ALADIEN-System, das in allen betreuten Wohnanlagen eingesetzt wird und altersunterstützende Assistenzsysteme mit Dienstleistungen für mehr Sicherheit, Komfort, Gesundheit und Kommunikation bietet. Das System hilft auch Fachkräften vor Ort und umfasst Funktionen wie Inaktivitätsmelder, Sturzsensorik, Orientierungslichter, Tür-Video-Kommunikation, Licht- und Rolladensteuerung und Transponder-Schließsystem.

„Wir setzen u. a. Projekte in der stationären Langzeitpflege und ambulant betreuten Wohngemeinschaften um, die sich auf die Digitalisierung von Prozessen, die Betreuung, die Sensorik und die Kommunikation konzentrieren. Diese Projekte tragen dazu bei, dass Fachkräfte entlastet und die Pflege verbessert wird.“

Pia kleine Stüve

Referatsleiterin Assistenzsysteme und Digitalisierung
Evangelische Heimstiftung GmbH

Die Evangelische Heimstiftung hat eine Infrastruktur aufgebaut, um flächendeckendes WLAN zur Verfügung zu stellen und somit Daten als Basis für die unterschiedlichen Projekte nutzen zu können. Dabei werden ethische Leitlinien für digitale Projekte hinzugezogen, die zur Orientierung bei der Implementierung dienen.

Der Weg in die Telematikinfrastruktur

Thomas Schade, Referent für Personalentwicklung im Team Gesundheit, Seniorenarbeit und Pflege des Deutschen Roten Kreuzes, stellte in seinem Vortrag „Der Kompass durch die Telematikinfrastruktur“ die Care 4.0-Qualifizierungsreihe vor, die in den letzten zwei Jahren entwickelt wurde, um Pflegeeinrichtungen des DRK bei der Anbindung an die Telematikinfrastruktur zu unterstützen. Die Care 4.0-Qualifizierungsreihe besteht aus verschiedenen Schulungen, die den Mitarbeitenden in Pflegeeinrichtungen dabei helfen sollen, sich auf die neuen Anforderungen durch die Telematikinfrastruktur vorzubereiten und diese erfolgreich zu nutzen.

„Es ist notwendig, auf politischer Ebene zu agieren und ggf. auch Druck innerhalb der eigenen Strukturen aufzubauen, um den Transformationsprozess erfolgreich umzusetzen.“

Thomas Schade

Referent Personalentwicklung
Team Gesundheit, Seniorenarbeit und Pflege
Deutsches Rotes Kreuz

Schade betonte, dass Digitalisierung in der Pflege kein Selbstzweck sei, sondern ein Werkzeug zur Verbesserung der Pflege und es elementar sei, sich frühzeitig ein Ziel zu setzen sowie eine Deadline festzulegen, um den Prozess effektiv zu gestalten.

 Die Telematikinfrastruktur stelle die Plattform für alle Gesundheitsanwendungen in Deutschland dar, so Schade, und es sei notwendig, mit allen Akteur*innen innerhalb dieser Infrastruktur zu kommunizieren und zu agieren, um den gesetzlichen Vorgaben in Zukunft zu entsprechen.

Die wichtigsten Key Learnings

Die Digitalisierungsstrategie muss klare Ziele definieren und für Führungskräfte sowie Projektmanager akzeptabel sein. Dabei sollte eine "Digitalisierungsroadmap" erstellt werden, die eine detaillierte Strategie beinhaltet, um die Ziele des Unternehmens zu erreichen.

Bei der Entwicklung und Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie ist die Unterstützung durch digitale Assistenten wie den Digital Companion hilfreich, da er Pflegeeinrichtungen anleitet, den Transformationsprozess systematisch umzusetzen

Eine erfolgreiche Digitalisierung muss strategisch, systematisch und bedarfsorientiert erfolgen und partizipativ gestaltet sein. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten in den Transformationsprozess einbezogen werden und positive Erfahrungen teilen können.

IT-Service und IT-Projektmanagement müssen professionalisiert werden. Dabei sollten integrative Changeprozesse genutzt werden.

Eine erfolgreiche Digitalisierung kann zum Erfolg des Unternehmens beitragen, indem sie die Chancen der Digitalisierung wirkungsvoll nutzt und den Bedürfnissen der Mitarbeitenden und Bewohner*innen entspricht.

Eine digitale Transformation in Pflegeeinrichtungen erfordert eine umfassende Digitalisierungsstrategie, die eng mit der Unternehmensstrategie übereinstimmt und in Zusammenarbeit mit anderen Bereichen entwickelt wird.

Zusammenfassend zeigen die Vorträge, dass eine erfolgreiche Digitalisierung in Pflegeeinrichtungen eine strategische, systematische und bedarfsorientierte Herangehensweise erfordert, bei der sowohl digitale Assistenten als auch menschliche Berater „Hand in Hand“ zum Einsatz kommen sollten.

Ausblick

In dem dritten und letzten Teil der Veranstaltungsreihe wird es am 27. April 2023 um Kompetenzentwicklung zur Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben in der Pflege gehen. Welche Kernkompetenzen sind wichtig,  damit (angehenden) Führungs- und Pflegekräften die digitale Transformation gelingen kann?

Dafür wird Dr. Asarnusch Rashid, Geschäftsführer des Zentrums für Telemedizin Bad Kissingen, der seit zwei Jahrzehnten im eHealth-Bereich tätig ist und den Blick der Technologie-Hersteller kennt, Erfolgsfaktoren aufzeigen und die teils unterschiedliche Erwartungshaltung zwischen Pflege- und Technologieanbietenden beleuchten. Dr. Lena Wirth des Fachbereichs Pflegewissenschaften der Universität in Osnabrück legt dar, was es braucht, um Transformation als Führungskraft in der Pflege gestalten zu können und Laura Schröer, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen präsentiert ganz konkrete Weiterbildungsangebote für Pflegekräfte.

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