„Widersprüche auflösen“

Berlin, 30.05.2024 - Europäisches Jahr der Kompetenzen, Nationale Weiterbildungsstrategie – klingt alles gut, denn Weiterbildung ist unbestritten einer der Schlüssel, um den demografischen Wandel und die dringend benötigte gesellschaftliche wie wirtschaftliche Transformation zu meistern. Doch wohin wollen wir uns verändern? Welche Skills brauchen die Betriebe in Zukunft? Und welchen Einfluss auf die Veränderungsgeschwindigkeit hat das Angebot von Weiterbildung?

„Das sind zentrale Fragen, auf die wir derzeit noch keine ausreichenden, strukturierten Antworten  geben“ konstatiert Birthe Kretschmer. „Wir sehen beispielsweise Unternehmen, die einerseits den Fachkräftemangel beklagen, die aber andererseits Weiterbildung für ältere Beschäftigte stark einschränken“, so die neue Vorstandsvorsitzende von Das Demographie Netzwerk e.V. (ddn) in Berlin sowie Geschäftsführerin der ZEIT Akademie. „Solche Widersprüche müssen wir auflösen“. Darüber hinaus bedarf es einer genauen Analyse, welche Skills bereits vorhanden sind und welche die Unternehmen hierzulande in Zukunft brauchen. Hier fehle es oft noch an strukturierten Daten. Gleichzeitig müssten Betriebe ihre Lernangebote sinnvoll in ihre jeweilige Unternehmensstrategie einbinden. „Ich kann meinen Mitarbeitenden sehr viele Lerninhalte zur Verfügung stellen und sagen: „Ist doch alles da!“ Doch Weiterbildung in Betrieben braucht Vorbilder, feste zeitliche Budgets und kommunizierte Ziele. Erst dann wird sie wirksam“, unterstreicht Kretschmer.

Diesbezüglich hat Deutschland offensichtlich noch Nachholbedarf. So haben 2022 in Deutschland rund laut einer Erhebung des Statistischem Bundesamtes (Destatis) vom Oktober 2023 nur rund acht Prozent der 25- bis 64-Jährigen an einer Bildungs- oder Weiterbildungsmaßnahme teilgenommen. Im Durchschnitt der EU-Mitgliedsstaaten waren es immerhin zwölf Prozent. Erfasst wurden hierbei alle 25- bis 64-Jährigen, die innerhalb der letzten vier Wochen vor der Erhebung an einer Weiterbildungsmaßnahme teilnahmen. Wenig überraschend: Vor allem in skandinavischen Ländern lag die Teilnahmequote besonders hoch. In Schweden absolvierten 36 Prozent der 25- bis 64-Jährigen eine Bildungs- oder Weiterbildungsmaßnahme.

Vor allem die jüngeren Generationen nehmen der Studie zufolge hierzulande an Weiterbildungen teil. Doch das bedeutet nicht zwingend, dass Ältere sich nicht weiterbilden wollen. „Oft erhalten aber vor allem ältere Beschäftigte weniger Fortbildungsangebote“, mahnt Kretschmer. Das geht aus dem Pulse Survey des Randstad Arbeitsbarometers (Q3/2023) hervor, in dem mehr als 1.500 Beschäftigte aus Deutschland befragt wurden. Demnach bekommt im Schnitt jeder vierte Arbeitnehmer unter 50 Jahren eine Weiterbildung angeboten, aber nur jeder Sechste über 50 und jederZehnte über 60 – und das, obwohl gerade die Ü60-Alterskohorte einen ihnen angebotenen Fortbildungskurs überproportional häufig in Anspruch nimmt. Überhaupt decken sich Wunsch und Wirklichkeit bezüglich Weiterbildung bei den Beschäftigten nur bedingt:  Laut dem Survey haben nur 63 Prozent der Beschäftigten in Deutschland in den zwölf Monaten davor ein Weiterbildungsangebot von ihrem Arbeitgeber erhalten. Gewünscht haben sich ein solches Angebot aber 84 Prozent.

Das Potenzial gut ausgebildeter Frauen wird in Deutschland ebenfalls weiterhin nicht ausgeschöpft: Laut einer weiteren Randstad-Studie vom Mai 2024 geben 55,3 Prozent der Frauen an, von ihren Arbeitgebern nicht bei Weiterbildungen und dem Erwerb von Qualifikationen unterstützt zu werden. Bei den männlichen Kollegen sind es immerhin 49,8 Prozent. „Im Interesse aller muss sich hieran etwas ändern“, so Kretschmer.

Auch sollten die Unternehmen aus den Ansprüchen und Zielen der einzelnen Gruppen etwas für sich lernen – „nicht zuletzt, um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben“, sagt Kretschmer. Wer etwa Fachkräfte der nachfolgenden Generationen Z und Alpha dauerhaft für sich gewinnen will, müsse berücksichtigen, dass diese anders lernen, ein anderes Lernumfeld brauchen. „Sie wollen multimedial, vor allem audiovisuell, kollaborativ, ort- und zeitunabhängig, lernen.“ Das schließe Präsenz-Fortbildungen, die auch dem Teambuilding dienen und darum im Interesse viele Unternehmen liegen, nicht aus. „Sie sollten aber mehr der Vernetzung, weniger der reinen Wissensvermittlung dienen.“ Gleichzeitig gehören die Gen Z und Alpha zu den Generationen, die einen digitalen Wissensvorsprung haben.

Nicht zuletzt müsse die Gesellschaft insgesamt dazulernen, sich weiterentwickeln. „Beispiel Frauen – wenn wir bei den eher konservativen Familienbildern bleiben, nicht genügend Betreuungsmöglichkeiten schaffen, werden wir die Frauen nicht dazu bringen können, ihre Arbeitsstunden zu erhöhen. Hier müssen wir umdenken“, fordert die ddn-Vorstandsvorsitzende

Über Das Demographie Netzwerk e.V. (ddn): Das Demographie Netzwerk e. V. (ddn) ist ein gemeinnütziges Netzwerk von Unternehmen und Institutionen, die den demographischen Wandel als Chance begreifen und aktiv gestalten wollen. ddn wurde 2006 auf Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und im Kontext der Initiative neue Qualität der Arbeit (INQA) gegründet. Die Mitglieder engagieren sich mit dem Anspruch „gemeinsam Wirken“ und in kollaborativer Zusammenarbeit. In regionalen und überregionalen Foren, in digitalen und persönlichen Treffen bearbeitet das Netzwerk Themen wie Qualifizierung, Digitalisierung, Führung und Diversity. ddn initiiert, leitet und unterstützt Förder- und Forschungsprojekte zu seinen Themen. Seit 2020 verleiht ddn den Deutschen Demografie Preis ddp.

      

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