„Viele können Leistung einbringen, wenn man sie lässt“

Berlin, 30.08.2023 - Deutschlands Wirtschaft lässt trotz des dramatischen Fachkräftemangels nach wie vor zahlreiche ungenutzte Beschäftigungspotenziale liegen. Die Ursachen dafür sind nach Ansicht des gemeinnützigen Unternehmensnetzwerks ddn mangelnde Information, aber auch Berührungsängste und Vorurteile. Von der Politik erhofft sich das Unternehmensnetzwerk weitere Unterstützung in der Aufklärung sowie eine Flexibilisierung von Regelungen.

Rund 164.000 schwebehinderte Menschen sind derzeit in Deutschland arbeitslos gemeldet, zugleich erfüllen laut aktueller Zahlen der Bundesagentur für Arbeit mehr als 60 Prozent der Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten ihre gesetzliche Verpflichtung zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht. Eine Situation, die für Diana Scholl vom Vorstand des Demographienetzwerks ddn schwer erträglich ist.

„Wir wissen, dass überall Leute fehlen und wir wissen auch, dass da fast 170.00 Menschen mit vergleichsweise sogar leicht überdurchschnittlicher Qualifikation keine Chance bekommen. Das ist gesellschaftlich wie betriebswirtschaftlich nicht vernünftig. Viele können ihre Leistung einbringen, wenn man sie lässt“, so Scholl.Mit dem kürzlich verabschiedeten Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes habe der Gesetzgeber eine wichtige Weiterentwicklung vorgenommen, die allerdings für die Praxis nicht ausreiche.

„Wir müssen die Frage stellen, warum Unternehmen ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Beschäftigung von Schwerbehinderten nicht nachkommen können, sondern eine Ausgleichsabgabe bezahlen. Ich erlebe, dass die Ursache in einem Informationsdefizit liegt, weshalb die Erhöhung der Abgabe wenig bringen wird“, so Scholl weiter. Sehr viele Unternehmen wüssten beispielsweise nicht, in welchem Umfang die Bundesagentur für Arbeit Maßnahmen zur Eingliederung, zur Ausstattung von Arbeitsplätzen oder die Beschäftigung selbst fördere.

Kritik an mangelnder Bereitschaft

Kritische Worte findet Scholl für einen Teil der Wirtschaft: „Bei der Inklusion sind die Großen ganz klein!“ Nach aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit erfüllen nur 25,3 Prozent der Unternehmen mit mehr als 60 Beschäftigten ihre gesetzliche Verpflichtung, bei den kleineren Unternehmen mit 20 bis 40 Beschäftigten sind es hingegen 47,5 Prozent. Dabei sei gerade dort eher Wissen und Kapazität in den Personalabteilungen vorhanden als bei den stärker engagierten Kleinunternehmen.

Aber auch der öffentliche Sektor müsse sich die Frage gefallen lassen, warum der Staat selbst seinen eigenen gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommt. Zwar würde mehr als die Hälfte der öffentlichen Arbeitgeber schwerbehinderte Menschen beschäftigen, aber eben auch knapp die Hälfte nicht. „Öffentliche Arbeitgeber haben eine Vorbildfunktion und sollten mit gutem Beispiel vorangehen“, so Scholl.  
 

Zukunftsperspektive

Diana Scholl vom ddn-Vorstand, im Hauptberuf Geschäftsführerin beim Bundesverband der Berufsförderungswerke wirbt dementsprechend auch für ein langfristiges Umdenken hinsichtlich der Zusammensetzung von Belegschaften.

„90 Prozent der Schwerbehinderungen werden durch Krankheit im Laufe des Lebens verursacht. Krankheit führt häufiger zu Arbeitslosigkeit, diese wiederum löst neue Gesundheitsprobleme aus. Ein Teufelskreis, den wir vermeiden müssen. Wir müssen erkennen, dass das Erwerbsleben nicht immer gradlinig verlaufen muss und das Menschen nicht immer in gleichbleibender Verfassung sind. Es gilt, die Vielfalt zu sehen und die daraus entstehenden Möglichkeiten und Potenziale zu sichern“, findet Scholl.

Von der Politik wünscht sich Scholl umfassendere Informationen, aber auch eine Flexibilisierung der regulatorischen Anforderungen. „Wir sollten Unternehmen mehr Flexibilität einräumen, gerade mit Blick auf die Fachkräfte Thematik. So kann es auch einfacher werden, die Arbeit den besonderen Bedürfnissen bspw. schwerbehinderter Menschen anzupassen, und so Arbeitszeiten oder Mobile Arbeit zu erleichtern“, so Scholl.

Darüber hinaus plädiert sie für einen umgekehrten Anreiz in Form einer Steuervergünstigung anstelle der Ausgleichsabgabe. Auch dürfe durch die staatliche Subventionierung kein zweiter Arbeitsmarkt entstehen, der eine Sonderstellung Schwerbehinderter schaffe und einer Stigmatisierung Vorschub leiste.
„Das Problem liegt ja gerade darin, dass wir nicht über die Leistungsfähigkeit, sondern die Beeinträchtigung reden. Das müssen wir ändern und ein Bewusstsein dafür schaffen. Was die Menschen können, wo ihre Stärken liegen. Davon können die Unternehmen und Mitarbeitenden nur profitieren, findet Scholl.

Über Das Demographie Netzwerk e.V. (ddn):

Das Demographie Netzwerk e. V. (ddn) ist ein gemeinnütziges Netzwerk von Unternehmen und Institutionen, die den demographischen Wandel als Chance begreifen und aktiv gestalten wollen. ddn wurde 2006 auf Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und im Kontext der Initiative neue Qualität der Arbeit (INQA) gegründet. Die Mitglieder engagieren sich mit dem Anspruch „gemeinsam Wirken“ und in kollaborativer Zusammenarbeit. In regionalen und überregionalen Foren, in digitalen und persönlichen Treffen bearbeitet das Netzwerk Themen wie Qualifizierung, Digitalisierung, Führung und Diversity. ddn initiiert, leitet und unterstützt Förder- und Forschungsprojekte zu seinen Themen. Seit 2020 verleiht ddn den Deutschen Demografie Preis ddp.

Pressekontakt: Andreas Scheuermann, Tel.: 0611-1666-1424, Mail: redaktion@auctority.net

Profil Diana Scholl
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