Klaus Morgenstern: Meinungsbeitrag zur Aktivrente

Zum 1. Januar 2026 soll in Deutschland die sogenannte Aktivrente eingeführt werden. Sie ermöglicht es Menschen, die das gesetzliche Rentenalter erreicht haben und weiterhin sozialversicherungspflichtig arbeiten, bis zu 2.000 Euro monatlich steuerfrei hinzuzuverdienen - zusätzlich zu ihrer gesetzlichen Rente. Die Regelung gilt nicht für Selbstständige, Beamte, Minijobber oder Personen, die vorzeitig in Rente gegangen sind. Ziel ist es, das Erwerbspotenzial älterer Menschen besser zu nutzen und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

In einer Artikelserie möchten wir Perspektiven und Einschätzungen von Expert*innen unterschiedlicher Fachrichtungen zur kontrovers diskutieren Aktivrente sammeln. Ziel ist es, die neue Regelung aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten und so eine fundierte, vielschichtige Auseinandersetzung zu ermöglichen. Im dritten Beitrag der Artikelserie bewertet der freiberufliche Journalist Klaus Morgenstern die aktuelle Entwicklung und ordnet sie vor dem Hintergrund seiner langjährigen Erfahrung mit Rentenpolitk und Altersvorsorge fachlich ein.

 Klaus Morgenstern, Oktober 2025

Aktivrente – gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht 

Vor wenigen Tagen hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Einführung einer sogenannten Aktivrente beschlossen. Dabei handelt es sich um einen Steuerfreibetrag, der ab dem gesetzlichen Renteneintrittsalter für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte gewährt wird, um Fachkräfte länger im Arbeitsprozess zu halten. Das Anliegen und die Idee ist für sich genommen eine sinnvolle Maßnahme. Von all dem was die schwarz-rote Regierung zur gesetzlichen Rentenversicherung mit ihrem Rentenpaket im Bundestag beschließen lassen will, ist die Aktivrente noch der brauchbarste Vorschlag. 

Nichtsdestotrotz gibt es Anlass zur Kritik und zur Nachbesserung. Größtes Problem, das einer Lösung bedarf, diese aber nicht bekommen wird, ist der Widerspruch, in dem die Aktivrente zum Rentenbeginn für besonders längjährig Versicherte steht. Beides passt einfach nicht zusammen. Zuerst können Versicherte, die auf 45 Jahre in der gesetzlichen Rentenversicherung kommen, vorzeitig in Rente gehen. Das entzieht der Wirtschaft nicht nur gut ausgebildete Fachkräfte, sondern belastet auch die finanzielle Basis der Rentenversicherung. Beiträge, die andernfalls von diesen Versicherten noch gezahlt würden, fallen aus. Im Gegenzug verlängert sich die Rentenzahldauer für diese Versicherten. 

Wenn sie dann das gesetzliche Rentenalter erreicht haben, sollen sie mit dem Steuervorteil wieder in Beschäftigung gelockt werden. Das widerstrebt dem gesunden Menschenverstand. Zumal gar nicht klar ist, ob die Gruppe der besonders langjährig Versicherten wieder zurückgeholt werden kann. Glaubwürdig und volkswirtschaftlich sinnvoll wird die Aktivrente nur, wenn zugleich die Rente für besonders langjährig Versicherte wieder abgeschafft wird. 

Zweitens darf man die wirtschaftlichen Effekte der Aktivrente nicht zu hoch ansetzen. Es wird in erheblichem Umfang Mitnahmeeffekte geben. Den Steuervorteil bekommen schließlich auch alle Rentner, die jetzt schon arbeiten oder es auch ohne die Aktivrente getan hätten. Diese Mitnahmeeffekte lassen sich nicht ausschließen, aber sie sollten in die Beurteilung dieser Maßnahme einfließen. 

Die Schätzungen, welche Beschäftigungseffekte die Aktivrente haben wird, liegen ohnehin weit auseinander. Sie reichen von nur 15.000 zusätzlichen Erwerbstätigen bis zu erheblich mehr. Die Zukunft wird zeigen, wer Recht behält. Ich siedle mich auf der optimistischen Seite an, aus der jahrzehntelangen Erfahrung heraus, dass in Deutschland Steuervorteile schon immer ein gutes Zugpferd waren. Dennoch plädiere ich für Realismus, wenn es darum geht die Effizienz dieser Maßnahme zu beurteilen. 

Drittens schafft die Aktivrente neue Ungleichheit. So sind die Selbständigen bekanntlich ausgenommen. Die Überlegung dahinter leuchtet ein: Viele Selbständige arbeiten ohnehin länger. Die Steuerausfälle würden also erheblich höher ausfallen, wenn die Aktivrente über die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hinaus ausgedehnt würde. Aber mit Blick auf die Gleichbehandlung kommen da durchaus Bedenken auf. Der schon sein ganzes Berufsleben gutverdienende und angestellte Ingenieur bekommt den Steuervorteil und bessert damit eine schon komfortable Altersversorgung noch ein Stück weiter aus. Der Inhaber eines Kiosk, der selbständige Kurierfahrer oder der Allrounder, der Dienstleistungen für Haus und Garten anbietet, geht bei dem Steuervorteil leer aus. Obwohl diese Berufsgruppen keine üppigen Einkünfte hatten und daraus komplett allein ihre Altersvorsorge aufbauen mussten. Außer der fiskalischen Erwägungen gibt es keinen sachlichen Grund, die Selbständigen davon auszuschließen. 

Die Aktivrente ist sicherlich kein Goldstandard und auch ein teures steuerrechtliches Instrument der Beschäftigungspolitik. Preiswerter fielen dagegen Alternativen im Arbeitsrecht aus. So sollten flexiblere Gestaltungen von Arbeitsverträgen mit Älteren möglich sein. Daher muss sicherlich auch noch mal über die sachgrundlose Befristung und über das Kündigungsrecht für ältere Beschäftigte nachgedacht werden. Vielleicht ist auch die Regelaltersgrenze im Arbeitsrecht nicht mehr zeitgemäß. Ich habe unlängst mit einem Arbeitsrechtler an einer Studie gearbeitet, der die Auffassung vertritt, dass diese Regelaltersgrenze eine Form der Altersdiskriminierung darstellt. Das ist zwar nicht die vorherrschende Meinung unter den Experten, aber über diese These lohnt es sich nachzudenken. 

Klaus Morgenstern

Klaus Morgenstern widmet sich als freiberuflicher Journalist seit mehr als 40 Jahren vielfältigen Wirtschafts- und Finanzthemen. Sein Fokus richtete sich in der jüngeren Vergangenheit vor allem auf die Altersvorsorge und Rentenpolitik. Diese Themenfelder standen von 2012 bis Oktober 2025 im Mittelpunkt seiner Arbeit, als er das Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA) als Sprecher in der Öffentlichkeit vertrat. In dieser Zeit wurde er auch Mitherausgeber mehrerer Ausgaben einer vielbeachteten Altersstudie und war Host vieler Ausgaben eines Podcast, der sich mit Rentenfragen beschäftigte.