Die Diskussion wurde getragen von einem hochkarätig besetzten Panel mit Meike Christine Rehner, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partnerin bei PWWL, Dr. Stefanie Hansen-Heidelk, Leiterin der Geschäftseinheit Personal und Gesundheit bei der Berliner Stadtreinigung (BSR), Sinischa Horvath, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats der BASF SE, sowie Prof. Dr. Mustapha Sayed, Professor für Gesundheitsmanagement an der FOM Hochschule und Head of Corporate Health bei der Barmer.
Gemeinsam diskutierten sie, wie Fehlzeiten rechtssicher, partizipativ und nachhaltig gemanagt werden können – und machten deutlich, dass es dabei nicht nur um Zahlen und Gesetze geht, sondern um Menschen, Vertrauen und Unternehmenskultur.
Rechtliche Rahmenbedingungen und neue Herausforderungen
Zu Beginn ging Meike Christine Rehner auf einige aktuelle Entwicklungen im Arbeitsrecht zu unserem Thema ein und spannte damit den Rahmen für die Diskussion:
Die Möglichkeit, sich per Video- oder Telefonsprechstunde krankschreiben zu lassen, wirft neue Fragen auf: Wie belastbar ist der Beweiswert solcher AU-Bescheinigungen? Welche Rechte haben Arbeitgeber, wenn Zweifel bestehen? Und wie lässt sich Missbrauch verhindern, ohne berechtigte Krankschreibungen zu diskreditieren?
Der Impuls zeigte, dass die rechtlichen Spielräume zwar wachsen, aber gleichzeitig Unsicherheiten entstehen – etwa durch die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU), die weniger Transparenz für Arbeitgeber bietet. Auch politisch diskutierte Reformideen wie Teilarbeitsunfähigkeit oder Karenztage wurden kritisch beleuchtet. Dabei wurde deutlich, dass arbeitsrechtliche Instrumente allein nicht ausreichen, um Fehlzeiten wirksam zu managen. Vielmehr braucht es eine Balance zwischen rechtlicher Klarheit und betrieblicher Verantwortung.
Daten, Trends und Ursachen von Fehlzeiten
Die Perspektive der Krankenkassen durch Dr. Mustapha Sayed brachte wichtige Erkenntnisse über die Entwicklung des Krankenstands. Seit 2022 steigen die Fehlzeiten kontinuierlich – insbesondere bei Atemwegserkrankungen und psychischen Belastungen. Die Einführung der eAU hat zusätzlich zu einem statistischen Effekt geführt, der die Zahlen beeinflusst, ohne dass sich die tatsächliche Krankheitslast verändert haben muss.
Dabei wurde deutlich, dass reine Fehlzeitenstatistiken nur einen Ausschnitt der Realität zeigen. Um die Gesundheit eines Unternehmens wirklich zu verstehen, müssen weitere Kennzahlen berücksichtigt werden: Zufriedenheit, Führungskultur, Fluktuation, Belastungserleben. Die Diskutant*innen waren sich einig, dass Zahlen nur dann aussagekräftig sind, wenn sie in den Kontext der Unternehmenskultur und der individuellen Lebenslagen eingebettet werden.
Die gemeinsame Überzeugung: Daten sind wichtig – aber sie müssen interpretiert, hinterfragt und mit qualitativen Erkenntnissen ergänzt werden. Nur so entsteht ein realistisches Bild, das als Grundlage für wirksame Maßnahmen dienen kann.
Prävention als strategischer Hebel im Unternehmen
Ein zentrales Thema der Session war die Frage, wie Unternehmen präventiv mit Fehlzeiten umgehen können. Die Berliner Stadtreinigung (BSR), vertreten durch Dr. Stefanie Hansen-Heidelk, und die BASF SE, vertreten durch Sinischa Horvat, zeigten, wie strategisch Gesundheitsmanagement heute in einigen Unternehmen gedacht wird. Begrüßungsgespräche nach längerer Abwesenheit, Gesundheitslotsen, Sozialberatung, ergonomische Trainings und zielgruppenspezifische Angebote sind nur einige der Bausteine, die helfen, Fehlzeiten frühzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken.
Dabei wurde deutlich, dass Prävention nicht nur ein Mittel zur Kostensenkung ist, sondern ein Ausdruck von Wertschätzung gegenüber den Beschäftigten. Wenn Unternehmen in Gesundheit investieren, investieren sie in Motivation, Bindung und Leistungsfähigkeit. Prävention ist kein „Nice-to-have“, sondern ein strategisches Muss – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels und steigender psychischer Belastungen oder auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.
Besonders hervorgehoben wurde die Notwendigkeit, Prävention nicht als isoliertes Projekt zu denken, sondern als Teil der Unternehmensstrategie. Nur wenn Führung, HR, Gesundheitsmanagement und Betriebsrat gemeinsam agieren, entsteht ein nachhaltiger Effekt.
Führung, Motivation und Unternehmenskultur
Die Rolle der Führungskräfte im Fehlzeitenmanagement wurde intensiv diskutiert. Gesundheitsorientiertes Führen bedeutet, Beschäftigte nicht nur als Arbeitskraft, sondern als Mensch zu sehen – mit individuellen Herausforderungen und Bedürfnissen. Die BSR setzt hier auf strukturierte Gesprächsformate, Schulungen und eine enge Begleitung durch HR. Die Diskussion zeigte, dass Führungskräfte oft den größten Einfluss darauf haben, ob sich Beschäftigte gesehen, gehört und unterstützt fühlen. Gleichzeitig wurde betont, dass Führungskräfte selbst Unterstützung brauchen – etwa durch Daten, Tools und Beratung – um ihrer Rolle gerecht zu werden.
Ein gemeinsames Verständnis zog sich durch die gesamte Runde: Eine gesunde Unternehmenskultur entsteht nicht durch Einzelmaßnahmen, sondern durch Haltung. Führung muss empathisch, strukturiert und strategisch gedacht werden – und darf sich nicht nur auf die „Problemfälle“ konzentrieren, sondern muss auch die stillen Leistungsträger im Blick behalten.
Chronische Erkrankungen und sensible Zielgruppen
Ein besonders sensibler Aspekt des Fehlzeitenmanagements betrifft chronisch erkrankte Beschäftigte. Die Diskutant*innen waren sich einig, dass es hier niedrigschwellige, vertrauensvolle Angebote braucht – etwa durch Sozialberatung, Gesundheitslotsen oder externe Partner. Auch Suchtprävention wurde thematisiert, ebenso wie die Herausforderung, bestimmte Zielgruppen wie Männer, Migrant*innen oder Management zu erreichen.
Die BSR setzt hier auf anonyme Beratung, gezielte Programme und eine Kultur der Offenheit. Die Barmer unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung zielgruppenspezifischer Maßnahmen, etwa für Auszubildende oder ältere Beschäftigte. Dabei wurde deutlich: Gesundheit ist individuell – und Unternehmen müssen Angebote schaffen, die unterschiedliche Lebenslagen und Bedürfnisse berücksichtigen.
Die Diskussion zeigte, dass Vertrauen, Diskretion und Beteiligung zentrale Erfolgsfaktoren sind. Beschäftigte müssen sich sicher fühlen, wenn sie über gesundheitliche Belastungen sprechen – und erleben, dass ihre Anliegen ernst genommen werden.
Wellbeing als ganzheitlicher Ansatz
Zum Abschluss wurde der Begriff „Wellbeing“– als Erweiterung des klassischen Gesundheitsbegriffs - in die Diskussion eingebracht. Er umfasst nicht nur körperliche Gesundheit, sondern auch psychisches Wohlbefinden, soziale Verbundenheit und Sinnhaftigkeit. Die Diskutant*innen waren sich einig, dass dieser Ansatz helfen kann, Gesundheit strategisch zu verankern und Fehlzeiten ganzheitlich zu verstehen.