In einer Artikelserie möchten wir Perspektiven und Einschätzungen von Expert*innen unterschiedlicher Fachrichtungen zur kontrovers diskutieren Aktivrente sammeln. Ziel ist es, die neue Regelung aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten und so eine fundierte, vielschichtige Auseinandersetzung zu ermöglichen. Den Auftakt dazu macht die Journalistin und Volkswirtin Margaret Heckel, die neben einem Bestseller über Angela Merkel mehrere Bücher zur demografischen Entwicklung geschrieben hat.
Margaret Heckel, Oktober 2025
Knackpunkt Sozialabgaben
Ob die Aktivrente ein Hit wird, liegt an der medialen Vermittlung – und der Frage, ob Rentner doppelte Sozialabgaben akzeptieren
„So kommen Sie an die Aktivrente“ lautete die extra fette Schlagzeile auf der Titelseite der „BILD“-Zeitung. Dieser mediale Aufschlag lässt schon mal hoffen: Wenn Deutschlands immer noch wichtigstes Boulevard-Medium die Aktivrente als etwas begehrenswertes beschreibt, dürften die Aussichten auf Erfolg nicht schlecht sein.
Wenig ist in Deutschland verkorkster als die Rentenpolitik: Auf der einen Seite werden Menschen mit der „Rente mit 63“ ermuntert, früher in den Ruhestand zu gehen. Haben sie dann die aktuelle Rentengrenze von derzeit 66 Jahren und ein paar Monaten erreicht, sollen sie ab kommenden Januar mit der Aktivrente wieder in die Erwerbsarbeit gelockt werden. Das ist so bizarr, dass es außerhalb Deutschland niemand verstehen wird. Beides sind oder waren Wahlgeschenke für die immer größerer werdende Wählergruppe der Menschen 60plus: die Rente mit 63 von der SPD, die Aktivrente nun von der Union.
Jenseits des offensichtlichen Schwachsinns dieser sich konterkarierenden Politikansätze ist die Aktivrente das Instrument all jener Politiker, die sich nicht trauen, die Lebensarbeitszeit mit der steigenden Lebenserwartung weiter nach oben anzupassen. Stattdessen setzen sie auf Freiwilligkeit und finanzielle Anreize.
Letztere sind beträchtlich: Wer weder Minijobber noch selbstständig ist und auch kein Beamter war und seinen 67. Geburtstag überschritten hat oder in wenigen Monaten feiert, darf ab Januar 2026 monatlich 2000 Euro steuerfrei verdienen. Gleichzeitig kann er oder sie die Rente voll oder in Teilen beziehen – oder auch den Rentenbezug aufschieben. Dann erhöht sich die Rente jeden Monat um weitere 0,5 Prozent, und das lebenslang.
Das ist ein guter Deal für die rund 230 000 Männer und Frauen, die jetzt schon über die Rentengrenze hinaus arbeiten und ab Januar mehr Netto vom Brutto bekommen. Aber es ist ein unfairer Deal für fast alle anderen. Alle, die ganz normal ihren Lohn versteuern müssen. Und diejenigen, die von der Aktivrente ausgeschlossen sind –Beamte, Selbstständige, Frührentner und Minijobber. Sehr wahrscheinlich also, dass die Aktivrente bald beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe landen wird.
Ein schlechter Deal ist es auch für die Finanzminister von Bund und Ländern: Der anfängliche Steuerausfall durch die Mitnahmeeffekte der jetzt schon arbeitenden Rentner soll bei rund 890 Millionen Euro pro Jahr liegen.
Das dreht sich allerdings, wenn die Aktivrente tatsächlich ein Erfolg wird. Denn dann gleichen die zusätzlichen Einnahmen bei den Sozialabgaben sowie die zusätzliche wirtschaftliche Leistung durch die Mehrarbeit die Steuerverluste mehr als aus: Ein Plus von 520 Millionen Euro hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bei 75 000 neuen Aktivrentnern errechnet. Bei 150 000 stiegen die Mehreinnahmen auf 1,8 Milliarden Euro.
Damit sind wir bei der Frage aller Fragen. Wie attraktiv finden die Rentner das neue Angebot? Denn der Verdienst ist zwar steuerfrei, aber eben doch sozialabgabenpflichtig: Auf die 2000 Euro Aktivrente im Monat werden rund 205 Euro Kranken- und Pflegeversicherung fällig – zusätzlich zu den Sozialabgaben, die mit der Rente fällig werden. Für Durchschnittsrentner beispielsweise bedeutet das rund eine Verdoppelung der Sozialabgaben.
Das ist innerhalb des Systems zwingend: Sozialabgaben müssen bis zur jeweils geltenden Beitragsbemessungsgrenze bezahlt werden. Derzeit sind das 5.512,50 Euro pro Monat in der Kranken- und Pflegeversicherung. Rente und Aktivrente werden addiert, darauf fallen die Sozialabgaben an. Im Prinzip also völlig logisch. Dennoch könnte es sich für Rentner so anfühlen, als ob sie „doppelt“ zahlen müssten. Denn die Leistungen, die sie beziehen, verändern sich ja nicht.
Für die Arbeitgeber ist die Aktivrente in dieser Hinsicht neutral. Sie zahlen ihren Teil der Sozialabgaben voll, auch Arbeitslosen- und Rentenversicherung für die Aktivrentner (ohne dass dies zu Leistungen bei den Rentnern führt). Das soll die Sozialkassen füllen, ein dezidiertes Ziel im Gesetzentwurf zur Aktivrente. Dennoch könnte es gerade im Handwerk und im Mittelstand viele Arbeitgeber geben, die versuchen, geschätzte Fachkräfte mit der Aktivrente zumindest zeitweise zurückzuholen.
Unternehmen, die ihre Mitarbeitenden wertschätzen, haben mit der Aktivrente nun ein zusätzliches Argument für längeres Arbeiten. Wo das Firmenklima mies ist, dürfte auch die Aussicht auf steuerfreies Einkommen nur wenige locken.
Denn die Wissenschaft weiß inzwischen ziemlich genau, warum Menschen 60plus weiterarbeiten – oder eben nicht. Enorm wichtig ist Wertschätzung im Betrieb und die Sinnhaftigkeit der Arbeit. Hier sind vor allem die Unternehmen in der Pflicht. Weitgehend unterschätzt wird bislang die Frage, was die Nachbarn, Freunde und Partner tun: Wo die meisten so früh wie möglich in Rente gehen, muss sich derjenige oft rechtfertigen, der weiterarbeitet.
Das könnte sich nun drehen, wenn es gelingt, die Aktivrente in der Öffentlichkeit als etwas erstrebenswertes und/oder finanziell „Cleveres“ darzustellen. Insofern wird zum einen die mediale Darstellung der Aktivrente sehr wichtig für ihren Erfolg. Und zum anderen eben die Frage, ob die Aktivrentner die doppelten Sozialbeiträge akzeptieren - oder doppelt ungerecht finden.
 
        Margaret Heckel
Margaret Heckel hat neben einem Bestseller über Angela Merkel mehrere Bücher zur demografischen Entwicklung geschrieben. Am 6.6.66 geboren, will sie ihren 100. Geburtstag 2066 gesund und glücklich erleben. Deshalb recherchiert, schreibt und spricht die Journalistin und Volkswirtin über alles, was dazu wichtig ist. Mehr Infos gibts auf der Website: www.margaretheckel.de
