Prof. Dr. Jutta Rump
Beschäftigungseffekte der Digitalisierung und KI
Die Digitalisierung und insbesondere der rasante Fortschritt der Künstlichen Intelligenz (KI) markieren einen der tiefgreifendsten Umbrüche der Arbeitswelt seit der Industrialisierung. Sie verändern nicht nur Technologien, sondern die Architektur der Beschäftigung – also wer welche Arbeit wann, wie und unter welchen Bedingungen ausführt. Für Unternehmen und Führungskräfte bedeutet das, Arbeit, Organisation und Beschäftigung strategisch neu zu denken.
Zwischen Beschleuniger und Ersatz
Digitalisierung und KI sind zugleich Beschleuniger neuer Tätigkeitsfelder und Ersatz bestehender Aufgaben. Sie übernehmen Routinen, unterstützen Entscheidungen, steuern Prozesse – und lernen dabei stetig hinzu. KI lässt sich daher als neue Mitarbeitergruppe begreifen, deren Leistungsfähigkeit sich fortlaufend steigert. Das verändert betriebliche Strukturen: Aufgaben werden neu verteilt, Wertschöpfungsketten reorganisiert, Verantwortlichkeiten verschoben. Entscheidend ist, dass Führung den Wandel aktiv gestaltet – durch Orientierung, Kommunikation und die Fähigkeit, Mensch und Technologie in ein produktives Zusammenspiel zu bringen.
Sechs zentrale Beschäftigungseffekte
1. Substitution – Routinen verschwinden
KI ersetzt vor allem klar strukturierte und wiederholbare Tätigkeiten. In der Produktion betrifft dies Maschinenführer oder Industriemechaniker, im Bankwesen Routineberatung, in der Verwaltung standardisierte Prüf- oder Dokumentationsaufgaben. Ganze Berufe verschwinden dabei selten, sie wandeln sich. Routinen werden automatisiert, während neue Aufgaben in Steuerung, Überwachung und Gestaltung digitaler Systeme entstehen. Unternehmen müssen diese Transformation gezielt begleiten: durch neue Rollenprofile, veränderte Verantwortlichkeiten und den Aufbau digitaler Kompetenz in allen Funktionsbereichen.
2. Simplifizierung – Komplexität wird reduziert
Digitale Technologien vereinfachen viele Abläufe. KI-gestützte Systeme übernehmen Analysen, prüfen rechtliche Rahmenbedingungen oder leiten Arbeitsprozesse visuell an. Dadurch werden Tätigkeiten zugänglicher, Einarbeitungszeiten verkürzen sich, und Menschen mit unterschiedlichem Qualifikationshintergrund können leichter eingebunden werden. Das eröffnet Chancen für breitere Beschäftigung, birgt aber auch Risiken: Wenn Systeme zu viel vorgeben, droht ein Verlust an fachlicher Tiefe und Eigenverantwortung. Führung muss deshalb zwischen Unterstützung und Entfremdung balancieren – Mitarbeitende befähigen, die Technik zu nutzen, ohne ihre Urteilskraft an sie abzugeben.
3. Polarisierung – Mitte unter Druck
Die digitale Transformation führt zu einer U-förmigen Beschäftigungsstruktur: Hoch- und niedrigqualifizierte Tätigkeiten gewinnen, mittlere Tätigkeiten geraten unter Druck. Routinisierte Aufgaben im mittleren Segment sind besonders leicht automatisierbar. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach hochkomplexen, kreativen und interaktiven Tätigkeiten – etwa in Forschung, Entwicklung, Management oder Kundenbeziehungen. Für Betriebe bedeutet das, dass traditionelle Karrierepfade an Bedeutung verlieren. Zukünftig wird es wichtiger, Entwicklungsmöglichkeiten entlang von Aufgabenfeldern zu gestalten und Mitarbeitende immer wieder an neue Kompetenzniveaus heranzuführen.
4. Zeiteffekte – Beschleunigung und Entgrenzung
Digitalisierung verändert das Zeitgefüge der Arbeit. Einerseits entstehen Zeitgewinne durch Automatisierung; andererseits beschleunigen sich Prozesse, Entscheidungszyklen verkürzen sich, und Verfügbarkeit wird zur neuen Währung. Arbeit verdichtet sich, während gleichzeitig Orts- und Zeitflexibilität zunimmt. Führungskräfte stehen damit vor einer doppelten Aufgabe: Effizienz ermöglichen, ohne Überlastung zu riskieren. Erfolgreiche Unternehmen gestalten Zeit aktiv als Führungs- und Organisationsfaktor – sie schaffen klare Erreichbarkeitsregeln, achten auf Erholungszeiten und fördern bewusste Entschleunigung, wo sie Kreativität und Qualität schützt.
5. Ergänzung – Neue Berufsbilder entstehen
Die digitale Transformation schafft neue Tätigkeitsfelder: Data Scientists, Machine Learning Engineers, Robotik-Koordinatoren, Digital Transformation Manager oder Responsible AI Officers sind nur einige Beispiele. Auch die Lernkultur verändert sich. Betriebe benötigen mehr Menschen, die Technologie und Organisation miteinander verbinden, Prozesse neu denken und Verantwortung für ethische Fragen übernehmen. Lernen findet zunehmend „im Prozess der Arbeit“ statt – kontinuierlich, vernetzt und oft unterstützt durch digitale Lernsysteme. Führung wird damit zur Ermöglichungsaufgabe: Mitarbeitende müssen Räume bekommen, Neues auszuprobieren, Fehler zu machen und Erfahrungen zu teilen.
6. Seniorität – Erfahrung gewinnt an Gewicht
Studien zeigen, dass KI-Einführung Einstiegspositionen verdrängen können, während Senior-Positionen zunehmen. Viele klassische Junioraufgaben – wie Recherchen, Standardanalysen oder Vorbereitungen – sind leicht automatisierbar. Das verändert die betriebliche Altersstruktur: weniger Berufseinsteiger, mehr erfahrene Kräfte. Kurzfristig kann das stabilisieren, langfristig droht jedoch der Verlust an Nachwuchs und Innovationskraft. Führungskräfte müssen daher neue Lern- und Einstiegspfade schaffen – etwa über projektbasiertes Lernen, crossfunktionale Teams oder Mentoring. Nur so entsteht ein Gleichgewicht zwischen Erfahrung und Erneuerung.
Erfolgsfaktor Prozessarchitektur
Technologie allein garantiert keinen Erfolg. Digitalisierung wirkt nur dann produktiv, wenn Prozesse klar, stabil und kompatibel sind. Wer ineffiziente Abläufe digitalisiert, digitalisiert auch die Fehler. Entscheidend sind Prozessoptimierung, Standardisierung, Harmonisierung und abgestimmte Schnittstellen. Diese Themen sind nicht nur technische, sondern vor allem organisatorische Aufgaben. Führungskräfte müssen verstehen, wie Prozesse über Abteilungsgrenzen hinweg zusammenspielen – und welche Schnittstellen Mensch und Maschine künftig teilen.
Fazit: Führung in der digitalen Transformation
Digitalisierung und KI verändern Beschäftigung nicht im Sinne eines Nullsummenspiels, sondern als transformativen Prozess. Die entscheidende Frage lautet nicht, ob Jobs verschwinden, sondern wie sie sich verändern – und wie Betriebe diesen Wandel gestalten. Führung spielt dabei eine Schlüsselrolle:
- Sie gibt Orientierung in Zeiten beschleunigten Wandels,
- schafft Rahmenbedingungen für Lernen und Zusammenarbeit,
- hält Balance zwischen technologischer Effizienz und menschlicher Verantwortung,
- und gestaltet Prozesse, in denen Innovation, Produktivität und soziale Stabilität zusammenfinden.
Der Wandel ist nicht allein technisch, sondern zutiefst kulturell. Unternehmen, die Digitalisierung Lern- und Entwicklungsaufgabe begreifen, verbinden Effizienz mit Sinn – und sichern damit ihre Zukunftsfähigkeit in einer Arbeitswelt, die sich schneller verändert als je zuvor.
Prof. Dr. Jutta Rump
Prof. Dr. Jutta Rump ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Darüber hinaus ist sie Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability IBE in Ludwigshafen – eine wissenschaftliche Einrichtung der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen und Forschungsschwerpunkt des Landes Rheinland-Pfalz.