Auftakt gelungen: Mitbestimmung neu gedacht

Am 20. März 2025 startete die neue MitBestimmt!-Reihe mit einem Thema, das aktueller kaum sein könnte: Alternative Mitbestimmungsformen. Die erste von vier Sessions zeigte, wie vielfältig betriebliche Beteiligung heute gelebt – und rechtlich gestaltet – werden kann. Was passiert, wenn Mitarbeitende mitreden wollen – und klassische Strukturen nicht (mehr) passen? Vier Perspektiven lieferten Antworten – aus der Arbeitsrealität, der Unternehmenspraxis, der Beratung und dem Arbeitsrecht.

Wir holen uns die Rechte – Mitbestimmung in prekären Arbeitsverhältnissen 

Eric Reimer, Betriebsrat bei Lieferando und langjähriger Fahrradkurier, berichtete eindrücklich aus der Plattformrealität: lange unreguliert, hohe Fluktuation, kaum rechtliche Orientierung. Die Mitarbeitenden begannen, sich in Gruppen zu organisieren, tauschten sich mit Standortleitungen aus – und stießen an Grenzen. 

„Wenn es keine Betriebsvereinbarung gibt, hat man auch wenig Ansprüche bezüglich der Dinge, die besprochen wurden.“ 

Anfangs wurde auf eine vermeintlich „familiäre Kultur“ gesetzt – Pizzaabende statt rechtlicher Unterstützung. Reimers und seine Kolleg*innen mussten sich alles selbst aneignen, Gewerkschaften einschalten, Schulungen organisieren. Heute gibt es über 20 Betriebsräte – ein hart erarbeiteter Fortschritt. 

Freiwillige Formate in mitarbeiterzentrierter Unternehmenskultur 

Elena Sommer-Hörl, Syndikusrechtsanwältin bei Personio, zeigte das Gegenmodell: ein Unternehmen, das proaktiv auf Beteiligung setzt. Dort wurde frühzeitig ein freiwilliger „Betriebsrat“ geschaffen – mit dem Ziel, Mitarbeitende transparent in Prozesse einzubinden. 

„Mitbestimmung auch außerhalb eines klassischen Betriebsrats ist möglich. Entscheidend sind Transparenz, Dialog auf Augenhöhe und der gemeinsame Wille, gute Lösungen zu gestalten.“ 

Elena Sommer-Hörl machte deutlich, dass es nicht darum gehe, unbequeme Entscheidungen zu vermeiden – wohl aber darum, gemeinsam tragfähige Lösungen zu finden: bei Büroeröffnungen, Umstrukturierungen oder schwierigen Themen wie Entlassungen. Wichtig sei, alle Perspektiven zu hören – nicht nur die der Geschäftsleitung. 

Frühe Kommunikation statt Reaktion auf Konflikte 

Sabine Steuerwald, Expertin für Kommunikation und Stakeholdermanagement, wird oft dann gerufen, wenn die Stimmung bereits kippt. Sie berichtete, dass viele Unternehmen erst bei akuten Spannungen beginnen, über Mitbestimmung nachzudenken – meist ohne zu wissen, welche Alternativen es gäbe. 

„Der Name sagt es: Eine Mitarbeitendenvertretung sollte die Interessen der Mitarbeitenden vertreten. Doch damit dies der Fall ist, brauchen die Mitarbeitenden eine fundierte Entscheidungsgrundlage.“ 

In der Praxis fehle oft das Know-how, um jenseits des klassischen Betriebsrats tragfähige Modelle zu entwickeln. Ihre Forderung: Frühzeitige Auseinandersetzung mit den Interessen der Mitarbeitenden – bevor der Druck zu groß wird. 

Kein „One fits all“ – aber klare Regeln 

Dr. Tobias Pusch, Arbeitsrechtler bei Pusch Wahlig Workplace Law, ordnete die Diskussion juristisch ein. Alternative Mitbestimmungsformen sind rechtlich möglich – solange sie ernst gemeint sind und nicht die Gründung eines Betriebsrats behindern. 

„Es gibt keinen Errichtungszwang für betriebliche Mitbestimmung, aber auch kein Verbot für alternative Formen.“ 

Er wies darauf hin, dass der Anteil klassischer Mitbestimmung in vielen Branchen zurückgeht – und dass freiwillige Formate eine Chance sein können, wenn sie strukturiert aufgesetzt werden. Zugleich warnte er davor, alternative Modelle als bloßes Feigenblatt zu nutzen: Die Beteiligung müsse echt sein – sonst entstehe Misstrauen statt Miteinander. 

Mitbestimmung braucht Haltung, Wissen – und den Mut, neu zu denken 

Die erste MitBestimmt!-Session hat gezeigt: Zwischen klassischen Betriebsratsstrukturen und alternativen Beteiligungsmodellen gibt es keine starre Grenze – wohl aber große Unterschiede in Haltung, Wissen und Timing. Mitbestimmung ist kein Entweder-oder, sondern eine Frage der Passung zur Unternehmenskultur und der Bereitschaft, Verantwortung zu teilen. 

Wer Beteiligung ernst meint, muss früh ansetzen, transparent kommunizieren und den Dialog mit Mitarbeitenden auf Augenhöhe führen. Nur so wird Mitbestimmung zu einem echten Zukunftsthema – für Unternehmen wie für Beschäftigte. 

Save the Date: Nächste MitBestimmt! Session am 22. Mai 

In der nächsten Session geht es um Mitbestimmung in der digitalen Transformation. Wie lassen sich Themen wie KI, Cloud-Lösungen, Datenschutz und IT-Rahmenbetriebsvereinbarungen sinnvoll gestalten? Freuen Sie sich unter anderem auf Christian Tribowski vom IBM und Katharina Horn von der Deutschen Lufthansa! Weitere Infos folgen bald.

Hier erfahren Sie mehr zur nächsten Session und haben die Möglichkeit sich anzumelden.